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Geschätzte SIM-Mitglieder

Am 28.09.2020 wurde ich von einer Redaktorin von SRF für die Sendung 10 vor 10 in meiner Funktion als Präsident der SIM interviewt. Das Interview wurde am Freitag den 02.10.2020 in 10 vor 10 gesendet. Hintergrund sind Meldungen von im Auftrag der IV begutachteten Personen, welche dem Aufruf von Inclusion Handicap gefolgt sind, sich zu melden, wenn sie "Opfer der IV-Willkür" geworden sind (siehe u. g. Link). Bisher sollen sich 350 Personen gemeldet haben. Ich hatte Einblick in das Papier und war erstaunt über die inhaltlich formulierten Beschwerden, welche nicht nur schlechte Behandlung, Desinteresse sondern auch Beschimpfungen aufführen.

https://www.inclusion-handicap.ch/de/medien/medienmitteilungen_2/2015-2016/medienmitteilungen_1/meldestelle-fuer-opfer-der-iv-willkuer-464.html

Im Folgenden sende ich Ihnen meine schriftliche Vorbereitung auf das Interview zu:

Wie schätzen Sie als Präsident der SIM – die ja für die Zertifizierung der Gutachter zuständig ist – diese Rückmeldungen (Inclusion Handicap) ein? 

Sie stimmen mich sehr nachdenklich und machen mich ärgerlich. Leider sehe ich auch im Rahmen meiner gutachtlichen Tätigkeit handwerklich sehr schlecht gemachte Gutachten.

Sind dies nur ein paar schwarze Schafe, oder gibt es ein Problem bei Gutachtern?

Die Übungsanlage dieser Meldungen ist so, dass sich Betroffene melden sollen, welche schlechte Erfahrungen mit Gutachtern und Gutachterinnen gemacht haben. Zudem wissen wir nicht, wie viele davon diese Angaben bereits vor dem Entscheid der IV gemacht haben.

Insofern sind die Daten sicherlich nicht repräsentativ. Aufgrund von Rückmeldungen von Rechtsanwendern, Richterinnen und Richtern höre ich, dass seit der neueren Leitlinienentwicklung ab 2012 die Gutachten qualitativ besser geworden seien, was auch mir bekannte Studien bestätigen, welche zuletzt eine ausreichende Gutachtenqualität von über 80% der Fälle zeigten.

Behinderten Organisationen kritisieren, die Abhängigkeit gewisser Gutachter von der IV (vor allem bei den Direktvergaben); sehen Sie dies ähnlich?

Das ist ein Problem; ebenso wichtig ist, dass es bis heute keine systematische Qualitätssicherung gibt. Diese würde es den Auftraggebern, den Fachgesellschaften, den Kantonalen Aufsichtsbehörden und der SIM ermöglichen, wirksame Massnahmen gegen handwerklich schlecht gemachte Gutachten zu ergreifen.

Die Verbände fordern die Vergabe dieser Gutachten per Zufalls-Prinzip, wäre dies ein gangbarer Weg?

Das Zufallsprinzip streut einfach die Vergabe, sodass jede versicherte Person die gleiche Wahrscheinlichkeit hat, eine gute oder schlechte Gutachtenstelle zu erhalten; das ist m. E. nicht die Lösung und sie führt auch nicht zu mehr Qualität von Gutachten.

Was wäre für Sie die Lösung?

Systematisches Qualitätsmanagement, wie es bspw. bei Spitalbehandlungen längst Standard ist: Instrumente zu Erfassung der Gutachtenqualität, plus Befragung der betroffenen versicherten Personen und Befragung der Gutachtenstellen. Daraus folgend können entsprechende Massnahmen abgeleitet werden

Zudem Schaffung einer unabhängigen Ombudsstelle, wie sie bereits u. a. für die Privatversicherer und die SUVA besteht.

Neu sollen die Gespräche aufgezeichnet werden, reicht das? Behinderten Verbände fordern, dass eine Begleitperson dabei sein könnte.

Audioaufnahmen schaffen Transparenz, garantieren aber keine zufriedenstellende Gutachtenqualität.

Bezüglich Ihrer Fragen zu Begleitpersonen weise ich darauf hin, dass auch diese Massnahme wieder "Nebenwirkungen" generieren kann. Bevor nicht ein systematisches Qualitätsmanagement aufgebaut worden ist, rate ich daher von neuen ad hoc Massnahmen ab.

Sie sind für die Zertifizierung der Gutachter zuständig, was machen Sie für eine Qualitätskontrolle?

Im Rahmen der Zertifizierungskurse vermitteln wir das know how, das ärztliche Handwerkszeug und evaluieren es im Rahmen einer klassischen Prüfung; anschliessend gewährleistet die SIM über die Rezertifizierungspflicht, dass die Gutachter*innen die erforderlichen Fortbildungen weiterhin absolviert haben.

Zudem engagiert sich die SIM bei der Leitlinienentwicklung der Fachgesellschaften; diese schafft die Grundlage für die Entwicklung von zuverlässigen und gültigen Kriterien zur Beurteilung der Gutachtenqualität.

Die SIM vermittelt Intervisionsgruppen, in welchen die GutachterInnen sich austauschen können.

Ferner beantworten wir Fragen von Gutachterinnen und Gutachter, welche Mitglied bei uns sind.

Die SIM arbeitet zudem aktuell mit dem BSV und anderen Stellen daran, dass gute Qualitätssicherungsinstrumente beim Bund aufgebaut werden.

Aber gewisse dieser «schwarzen Schafe» treten mit ihrem Label auf, können oder wollen Sie da nichts machen?

Weder eine Ausbildungsinstitution oder ein Facharztdiplom können verhindern, dass Ärzte und Ärztinnen trotz des dort erworbenen Wissen fehlbar handeln.

Die SIM hat eine Rezertifizierungspflicht; im Rahmen dieser könnte auf der Grundlage verlässlicher Daten bei Hinweisen auf schlechtes gutachtliches Handwerk die Rezertifizierung kritisch geprüft werden.

Fazit: Die SIM kann nur ein – wenn auch wichtiger - Baustein in der in der Qualitätskontrolle sein; alle anderen Akteure - Fachgesellschaften, kantonale Aufsichtsbehörden und in erster Linie die Auftraggeber von Gutachten müssen ihren Teil ebenfalls dazu beitragen.

Zürich, 05.10.2020

Dr. med. Gerhard Ebner, Präsident Swiss Insurance Medicine SIM


SRF 10vor10 (02.10.2020): Kritik an Gutachter der Invalidenversicherung